„Hochseilakt“ von Hans-Jürgen Kossack (1965- heute) in Nendingen zwischen Donau und Friedhof
Zitat
„Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn.“[1]
Die Bibel
1. Mose 1,27
Autorenporträt
Da die Entstehung der fünf Bücher Mose, aus dem das obige Zitat stammt, unklar ist und ein Autor nicht porträtiert werden kann, wird Desiderius Lenz, der Begründer der Beuroner Schule erwähnt, der sich eingehend mit dem Menschlichen Körper als Abbild Gottes (1. Mose 1,27) und der Verbindung mit einer Ordnung nach Maß, Zahl und Gewicht (Weish. 11,20) beschäftigt hat.[2] Lenz wurde am 12. März 1832 in Haigerloch geboren. Er absolvierte zunächst eine Schreinerlehre im väterlichen Betrieb. Danach studierte er an der Akademie der Bildenden Künste in München bei Max von Widmanns und Wilhelm von Kaulbach. Nach einer freien Tätigkeit als Bildhauer wurde er 1859 als Professor an die Kunstgewerbeschule in Nürnberg berufen. Während eines durch ein Stipendium ermöglichten Italienaufenthaltes arbeitete er an ersten Plänen für eine ideale Kirche. 1872 trat er als Oblate in das Kloster Beuron ein, wurde 1876 Novize und legte 1878 Profess ab, bevor er 1891 Subdiakon wurde. In den Jahren 1886–78 konnte Lenz mit der Mauruskapelle seine Ideen einer idealen Kirche Realität werden lassen. Lenz prägte den Stil der Beuroner Kunst und begründete die Beuroner Kunstschule. Er starb dort am 31. Januar 1928.
Impuls
Der Begründer der Beuroner Kunstschule, der Bildhauer, Maler und Architekt Desiderius Lenz, besinnt sich für seine Kunst auf einen Kanon idealer Proportionen. Er glaubt, gemäß dem biblischen Buch der Weisheit „Du aber hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet!“ (Weisheit 11, 20), dass es eine kosmische Ordnung gebe. Diese Ordnung spiegele sich nach obigem Zitat im menschlichen Körper wider und der wahre Künstler müsse diese idealen Proportionen erkennen und in seinen Bauwerken anwenden. Lenz legt seine Auffassungen in seiner Schrift Der Kanon dar und führt aus: „Das war der Kanon der normalen Menschengestalt in zwei Geschlechtern, gegeben, um das Idealbild des Gott-Menschen Christus, das Wort im Fleische, und seine jungfräuliche Mutter Maria, die Norm der Weiblichkeit, darzustellen.“[3] Die Ägypter waren nach Lenz‘ Auffassung noch im vollen Besitz dieses Kanons. Seine Absicht war es, diesen Kanon wiederzuentdecken und in seiner idealen Kunst abzubilden, um die Menschen zu erheben. Lenz sah Kunst somit als Liturgie, als Gottesdienst.
Fragen
Was bedeutet mir mein Körper?
Welche Metapher passt am besten zu meinem Verhältnis zu meinem Körper?
Sehe ich in meinem Körper ein Abbild Gottes?
Pflege ich meinen Körper angemessen?
Trainiere ich meinen Körper angemessen?
Habe ich ein gesundes Verhältnis zu meinem Körper zwischen Leibfeindlichkeit und Körperkult?
Vertiefung
Das Motiv der Analogie vom menschlichen Körper zum Artefakt und von einem Kanon vollendeter Proportionen taucht schon beim antiken Architekturtheoretiker Vitruv im ersten Jahrhundert vor Christus auf, der ein Quadrat, und einen Kreis über einen mit gespreizten Beinen und Armen liegenden Menschen konstruiert.[4] Die Mitte des Kreises befindet sich im Bereich des Nabels, die Figur nennt sich homo ad circulum. Die Figur, in der die Mitte der Diagonalen des Quadrates sich im Geschlechtsbereich befindet, nennt sich homo ad quadratum. Das Motiv wird dann in der italienischen Renaissance von Leonardo da Vinci (1454-1519) aufgegriffen und so bekannt, dass es heute als vitruvianischer Mensch auf den italienischen Ein-Euro-Münzen zu finden ist. Die Zeichnung ist heute noch Basis von vielerlei geometrischer Spekulationen. Der Architekt und Maler der Moderne Le Corbusier (1887–1965) entwickelt die Thematik in seinem Werk Der Modulor[5] weiter und zieht den menschlichen Körper als verbindliches und ausschließliches Maß für harmonische Bauwerke heran.
[1] Im Herausgegeben Auftrag der Bischöfe Deutschlands 2017, 1. Mose 1,27.
[2] Desiderius Lenz, Der Kanon, in: Benediktinische Monatsschrift (1921), 363–377.
[3] Ebd.
[4] Vitruv / Curt Fensterbusch, Zehn Bücher über Architektur, Darmstadt 72013.
[5] Le Corbusier, Der Modulor. Darstellung eines in Architektur und Technik allgemein anwendbaren harmonischen Maszes im menschlichen Maszstab., München 122021.